Wie bewegt man einen Elefanten?

Ut: – der Workshop zum gleichnamigen Buch von Sakino Sternberg

Mitte Juli. Ferienzeit. Die Sonne scheint, und ich radle Richtung Süden – nach Schöneberg. Als mein Ziel erweist sich schließlich ein schön modernisiertes altes Haus in der Ebersstraße, in dessen Schaufenstern im Erdgeschoss große bunte Seidentücher mit der Inschrift »Avalon« hängen.

Kurz darauf stehe ich Sakino gegenüber. Obwohl sie Ende fünfzig ist, wirkt sie auf mich lebendig und charmant wie ein junges Mädchen. Kurz darauf sind auch die anderen Teilnehmer da. Es stellt sich heraus, dass wir eine sehr kleine Gruppe sein werden – die Sommerferien fordern ihren Tribut. Das habe aber auch Vorteile, betont Sakino. So hätten wir viel mehr Zeit, uns um die Fragen und Prozesse der Einzelnen zu kümmern.

Dann geht es los. Wir sollen »unseren« Platz im Raum finden: Den Ort, an dem jede bzw. jeder sich wohl fühlt, bei dem es innerlich »einrastet«. Ich habe einen spontanen Impuls zu einer bestimmten Stelle, will es aber nicht glauben und gehe weiter im Raum herum – nur um dann genau dort zu landen. Wir sollen uns nun so bequem wie möglich »uns gemäß« einrichten. Wer will Kissen, einen Meditationssitz, eine Decke? Als wir alle unser »Nest« geschaffen und es uns bequem gemacht haben, beginnt Sakino eine geführte Meditation. »Wie fühlt es sich an, auf diesem Platz zu sein? Ist es wirklich der ‘Richtige’? Was für Bilder, welche Gedanken stellen sich ein? Dies ist dein Platz jetzt, und auch ein Bild für den Platz, den du dir in deinem Leben für dich nimmst und gestaltest. Wie fühlt sich das an?« Ich habe mir als Sitzunterlage ein schönes Meditationskissen gewählt, und sitze … auf einer Grenzlinie! Es durchzuckt mich regelrecht. Mit geschlossenen Augen taste ich hinter mich und fühle die Metallschiene auf dem Boden. Ich sitze genau drauf; sie läuft unter dem Kissen durch. Es ist die Umrandung einer Art Falltür, die hier hinab in den Keller führt. Und ich sitze genau auf der Grenze zwischen der festen Decke und der Tür, zwischen oben und unten. Meine linke Arschbacke über dem festen, meine rechte über dem beweglichen Teil des Bodens… Welch’ ein Bild! Schlagartig wird mir klar, dass es solche Bilder zuhauf in meinem Leben gibt. Sie stürzen geradezu auf mich ein, und mir laufen die Tränen runter. Brücke sein – das ist mein Thema. Meine Berufung?!

»Auch wenn es mich manchmal beinahe zerreißt: Hier ist mein Platz – zwischen Trauma und Freiheit, ‘männlich’ und ‘weiblich’, ‘stark’ und ‘schwach’, ‘groß’ und ‘klein’, Gefühl und Verstand, Leben und Tod…« schreibe ich danach in mein Notizbuch. Diese so banal erscheinende Erkenntnis klingt auch jetzt, wo ich dies schreibe, noch in mir nach.

Später am Abend, als ich wieder zu Hause bin, mache ich mich daran, einiges in meiner Wohnung umzuräumen. Auch dazu waren mir Bilder und Ideen gekommen.

Nach diesem furiosen Start ging es mit Übungen – und Erkenntnissen – weiter, die alle hier aufzuführen den Rahmen sprengen würde. – Doch, noch eine: Wir machten in den Folgetagen auch eine Reise zu unserem inneren Kind. Auch hier wartete eine tiefe Erkenntnis für mich: Mein inneres Kind ist unglaublich weise. Seine Augen spiegeln das Universum…

Wenn mich in diesen Tagen jemand gefragt hätte, was die Gruppenleiterin »getan« hat, um das alles anzustoßen, dann wäre mir nur wenig dazu eingefallen. Dies waren ja bei weitem nicht die ersten Meditationen dieser Art für mich, und Gruppen habe ich auch schon etliche besucht. Jetzt, im Nachhinein, kann ich das immerhin so umschreiben: Es hat damit zu tun, dass sie einen Raum geöffnet hat, für mich und alle anderen dieses Kurses. Das wiederum ergab sich offenbar durch die Art, wie sie die Dinge angeht: Diese Mischung aus Weisheit, großer Routine und gleichzeitig völliger Offenheit. Etwas von »das Ziel treffen, ohne es anzuvisieren«, von »absichtsloser Absicht«.

 

 

 

Claus Grütering, Jg. ‘55, ist Sozialpädagoge und Kfz.-Mechaniker und von Berlin aus für die connection als Endredakteur, Lektor und Korrespondent tätig.

 

Dieser Artikel wurde in der Connection November 2007 als Seminarbericht

veröffentlicht