Was ich von Wolfgang Joop gelernt habe….

Ich lerne ja immer. Von meinen Klienten (ein Super Klischee), durch das Leben (noch eins) oder aus meinen Erfahrungen (na so was), und auch aus der Zeitung (wer hätte das gedacht). Vorigen Sonntag las ich in der Berliner Morgenpost ein Essay von Wolfgang Joop, dem Modedesigner aus Potsdam, mit dem Titel: „Schön Stil halten“. Ich dachte: „ Das ist ja ein interessanter Titel, und so doppeldeutig“, und las den Artikel. Er begann mit einem interessanten Statement: „Mit der richtigen Haltung können wir uns alle selbst entwerfen“. Wow, dachte ich weiter, der Mann will anscheinend was Wichtiges sagen, mal sehen, was dabei rauskommt. Ich las mit wachsendem Interesse weiter.

Joop entwirft einige Thesen zum Stil der Zukunft. Während des Lesens dachte ich ein ums andere Mal, das, was er da sagt, könnte man ebenso gut für das Thema „Lernen“ anwenden. Und so formulierte ich dann einfach einige der Thesen um, indem ich das Wort „Stil“ durch das Wort „Lernen“ ersetzte. Die folgenden Gedankenspiele sind dabei heraus gekommen. Man kann sie ernst nehmen, oder mit Humor, in jedem Fall sind sie inspirierend.

1. Lernen lebt vom Widerspruch.  Stimmt. Denn Widerspruch regt zum Nachdenken an, und wer nachdenkt, findet Neues heraus. Das ist Lernen.

2. Lernen hat Wiederholungsverbot  Ich ermutige mich selber und auch meine Klienten, Fehler zu machen. Denn nur aus unseren Fehlern lernen wir und werden Experten in dem, was wir tun. Ich empfehle allerdings auch, nicht denselben Fehler zweimal zu machen, denn das zeigt, dass wir nichts gelernt haben. Die Kunst besteht darin, immer neue Fehler zu machen. Ich kann sagen, dass ich eine Menge „Fehler“ gemacht habe. Ich bezeichne sie allerdings lieber als Erfahrungen, aus denen ich gelernt habe.

3. Ich darf meinen Launen nachgeben. Ausprobieren, spielen, Unsinn machen sind Quellen des Lernens. Kinder dabei zu beobachten, wie sie spielen und dabei lernen, ist ein grosses Vergnügen.

4. Lernen ist nicht für die Reichen reserviert Ich komme aus einer sehr armen Familie. Zum Glück hatte ich schon in der ersten Klasse eine Lehrerin, die erkannte, dass ich intelligent genug war, um aufs Gymnasium zu gehen. Ich bekam ein Stipendium, später auf der Uni Bafög, verdiente auch immer selber was dazu. So war es mir möglich, den Beruf zu erlernen, den ich auch heute noch mit Leidenschaft und Hingabe ausübe. Ich lernte dabei auch, dass ich aus eigener Kraft unendlich viel (er)schaffen und erreichen kann.

5. Weg mit der Bürgerlichkeitsmanie. Wer lernen will, muss gierig sein auf Neues, neu – gierig sein, wissen wollen. Ich habe vor langer Zeit mehrere Jahre in einem spirituellen Ashram gelebt. Ich wollte ausprobieren, wie es ist, mich ganz und gar in den Dienst einer Sache zu stellen, die grösser ist als ich. Gemeinsam leben, arbeiten, besitzlos sein. Ich gab meine Wohnung und alles, was darin war, auf, ebenso meine damalige Liebe, meinen Kinderwunsch und meine berufliche Karriere. Ich lernte sehr viel in diesen Jahren. Eines Tages wusste ich, es ist genug. Ich verliess den Ashram, stand mit meinem einzigen Koffer auf dem Kudamm und fing wieder ganz von vorn an. Was ich vor allem gelernt habe in dieser Zeit ist, dass ich nicht an Besitz hänge, wenn ich glücklich bin und eine Aufgabe habe, die mich erfüllt.

6. Lernen ist bedenkenlos. Ich zitiere Joop: „Wissen mag wichtig sein, Bewusstsein ist wichtiger. Ich muss mir klar werden über meine Situation, wer ich sein will und auf was ich dafür zu verzichten habe. Schliesslich hat auch ein Punk kein bequemes Outfit an. Im Gegenteil: er mutet sich eine ganze Menge zu. Er gibt auf, von allen gemocht zu werden. Genauso wie Herr Lagerfeld es wohl aufgibt, in seinem Outfit von allen gemocht zu werden“. Wer lernen will, muss Nicht – Wissen aufgeben, ebenso wie Faulheit, Bequemlichkeit, und vieles andere.

7. Zum Lernen gehört Mangel. Wir lernen in Mangelsituationen mehr als in Überflusssituationen. Meine Mutter wendete die alten Uniformjacken meines Vaters und machte daraus Mäntel für uns. Aus den übrig gebliebenen Salzkartoffeln des Mittagessens wurden abends Bratkartoffeln oder Kartoffelklösse hergestellt. Altes Brot wurde zu Brotsuppe verarbeitet. Jeder kleine Rest wurde in kreativster Weise von meiner Tante, die bei uns lebte, neu verwendet. In Zeiten ohne Geld ging ich in die teuersten Boutiquen und probierte die schönsten Klamotten an, die ich mir nie hätte leisten können. Auf diese Weise lernte ich, dass auch teure Sachen oft nur billig verarbeitet sind. Von meiner Mutter lernte ich nähen und machte mir in der Studentenzeit oft phantasievolle Röcke und Jacken aus alten Vorhängen, die ich in Trödelläden oder Kleidersammlungen fand. Ich lernte vor allem, dass ich eine unendliche Kreativität besitze, die aus allen Situationen das Beste machen kann. Das hat mich aus vielen Talsohlen des Lebens heraus geholt.

8. Lernen bedeutet, zu seiner Vergangenheit zu stehen.  Ich zitiere noch mal Joop: „Die japanische Mode….hat uns deswegen so aus den Schuhen gehebelt, weil sie mit ihrer Vergangenheit, die ja der deutschen nicht unähnlich war, ganz anders umgegangen sind. Sie haben ihre Narben und ihre Verletzungen und ihre postatomaren Traumata einfach verarbeitet und nicht, wie wir, versucht, so ein Chi-Chi-Paris nachzubauen. In Deutschland wurde viel verdeckt und noch mehr Make-up verwendet. Die japanischen Designer haben die Dekonstruktion in den Mittelpunkt ihrer Arbeit gestellt. Das Zerrissene, das Loch im Ellenbogen war Ausdruck eines Selbstbewusstseins, das, wo man bei uns die Hand drauf gehalten hätte. Ähnlich hätten wir Deutschen auch mal mit uns selbst umgehen können, statt alles Fehlerhafte zu kaschieren.“ Dieses trifft nicht nur auf die Modewelt zu. Etwas zu verstecken, das in der Vergangenheit geschehen ist, bedeutet, nichts zu lernen. Es aber anzuschauen und dazu zu stehen, eröffnet die Möglichkeit, jetzt und in der Zukunft neu zu handeln.

9. Die Energiekrise ist hoffentlich gut für das Lernen. Wenn wir nicht mehr so viel reisen können, werden wir uns vielleicht mehr um die Verschönerung unseres Zuhauses kümmern. Wir werden lernen, neue Quellen von Energie und Wohlfühlen zu erschliessen, wir werden vielleicht – hoffentlich- auch wieder mehr zusammen kommen und uns gegenseitig unterstützen.

10. Der Mainstream des Individualismus ist ein Lern – Killer. Jeder will so sein wie die hippen Menschen in den Magazinen. Das ist nicht nur in der Modewelt so, auch in der so genannten spirituellen Szene beobachte ich einen Trend zu: wie man zu sein hat, welche Therapiemethoden sind gerade en vogue, was macht man.

11. Lernen braucht Konzentration. Wer bin ich? Was möchte ich sein? Wie viel bin ich bereit zu investieren?

12. Heiterkeit hilft beim Lernen. Man muss sich lächerlich machen können. Als ich anfing mit Klettern, hing ich an der Wand wie ein Mehlsack, von Eleganz keine Spur. Ich jammerte und schimpfte, und ich denke, für die meist viel jüngeren Kletterer in der Halle gab ich eine erheiternde Figur ab. Wer das nicht aushält, wird nichts lernen. Denn, wie schon meine Mutter sagte: „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“, und „Ohne Fleiss kein Preis“. Immerhin klettere ich heute schon im Schwierigkeitsgrad 6, das finde ich ganz beachtlich.

Sie sehen, man kann von allen und jedem lernen, es gibt keine Grenzen.  Danke, Wolfgang Joop. Ich habe heute viel von Ihnen gelernt.

 

 

Der Artikel wurde im KGS 9, 2008, veröffentlicht